Unsere Geschichte

Vor 150 Jahren trennte sich in Dresden eine kleine Schar evangelischer Christen aus Glaubensgründen von der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens. Sie gründeten am 13. Sonntag nach Trinitatis, dem 3. September 1871, eine freie lutherische Gemeinde, die „Separiert evangelisch-lutherische St.-Trinitatis-Gemeinde ungeänderter Augsburgischer Konfession”. Wenig später, im August 1876, schlossen sie sich mit Gleichgesinnten in Sachsen (und später auch in Nassau) zur „Evangelisch-lutherischen Freikirche in Sachsen und anderen Staaten” zusammen. Auf diese Weise wurde die Dresdner Gemeinde gemeinsam mit ihrer Schwestergemeinde in Niederplanitz (bei Zwickau) zur Wiege der lutherischen Separation in Sachsen.

Würde man heute eine Umfrage machen, worin das Besondere der Lutherischen Kirche besteht und was die Bekenntnisse dieser Kirche von denen anderer Kirchen und Konfessionen unterscheidet (z.B. der römisch-katholischen Kirche, der reformierten Kirche oder den evangelikalen Freikirchen) – man würde wohl vielfach nur ein Schulterzucken ernten. Wie aber würden die Gründer der ersten separierten lutherischen Gemeinden in Sachsen diese Fragen beantworten und die heutige kirchliche Landschaft bewerten?

Zeitgeist und Bekenntnis

Dazu müssen wir uns ihr geistiges und geistliches Umfeld etwas vergegenwärtigen. Nach der Zeit der Aufklärung und des Rationalismus war es gerade in erweckten, frommen Kreisen in Sachsen zu einem neuen Bekenntnisbewusstsein gekommen. Man besann sich wieder auf Bibel und Bekenntnis. Man las wieder die Heilige Schrift und die Schriften der lutherischen Väter. Eine Generation vorher noch hatte mancher wegen dieser als verstaubt geltenden Glaubensüberzeugungen von seiner Heimat Abschied genommen und in der neuen Welt eine neue geistliche Heimat gefunden (so z.B. die sächsischen Auswanderer um Martin Stephan, beim sogenannten „Auszug der Achthundert“).

Doch inzwischen wurden auch in Sachsen die Stimmen lauter und zahlreicher, die eine Kurskorrektur ihrer Kirche forderten. In dieser Zeit des erstarkenden Bekenntnisbewusstseins liegen auch die Wurzeln der vom Staat unabhängigen lutherischen Gemeinden in  Sachsen. Die Gründer der ersten  Gemeinde in Sachsen waren allesamt treue Glieder ihrer Landeskirche gewesen. Dresden galt als ein Zentrum der sächsischen Erweckungsbewegung (Zinzendorf, v. Einsiedel, Roller, Leonhardi, Stephan). Von Dresden aus wirkten auch engagierte Laien wie der Buchhändler Justus Naumann, der als Verleger konservativer lutherischer Schriften, z.B. des „Pilger aus Sachsen“, weit über die Grenzen des Königreiches Sachsen hinaus bekannt wurde.

Diakonische Bestrebungen

An vielen Orten gründeten sich in dieser Zeit christliche Vereine, in denen das neu erwachte geistliche Leben Betätigungsmöglichkeiten suchte. So entstand Anfang der 1840-er Jahre in Dresden ein „Verein evangelisch-lutherischer Glaubensgenossen“, der sich um die Nöte Armer und Kranker kümmerte und dazu auch eine eigene Kinderbewahranstalt unterhielt. Den Dresdner Glaubensgenossen lag neben dem irdischen vor allem das geistliche Wohl ihrer Landsleute am Herzen. Dazu beschäftigten sie sich in ihren regelmäßigen Vereinssitzungen mit Gottes Wort, hörten Vorträge und lasen lutherische Schriften. Als Verein pflegte man engen Kontakt zu den ausgewanderten Glaubensgenossen in Amerika. Man gab später selber Traktate heraus, um auch im eigenen Land nach außen zu wirken. Diese Kreise, allen voran der daraus hervorgegangene Dresdner „Lutheranerverein“, bildeten die Keimzelle, aus der vor 150 Jahren unsere Dresdner Gemeinde entstand.

Gebotene Trennung

Man wollte nicht tatenlos zusehen, wie in der eigenen Landeskirche der Boden von Bibel und Bekenntnis immer weiter aufgeweicht oder gänzlich verlassen wurde. Eine Besserung war nicht abzusehen. Statt auf eine Stärkung der Bekenntnishaltung hin zu wirken, beschloss die sächsische Landessynode 1871, den bisher gültigen Bekenntniseid in eine allgemeine Gelöbnisformel abzuschwächen, nach der Pfarrer nur noch nach „bestem Wissen und Verständnis“ das Evangelium zu verkündigen hatten. Das war der Tropfen, der im August 1871 schließlich das Fass zum Überlaufen brachte und zur Separation und Gründung der ersten freien lutherischen Gemeinde in Sachsen führte.

Alle Eingaben und Bitten konservativer Lutheraner an die Kirchenleitung in Dresden waren ungehört verhallt. Die meisten der Mahner und Warner verstummten nach und nach. Nur wenige von ihnen gingen schweren Herzens den von Gottes Wort gebotenen Weg der Trennung (Mt 28,20; Röm 16,17, 1Tim 5,22). Es waren nur wenige, die schon damals klar sahen, wohin die Weichenstellungen in einer Kirche führen mussten, die „grundsätzlich in ihrer Praxis den lutherischen Glauben und das lutherische Bekenntnis“ verleugnete. Einer der ersten, die das erkannten, war der Dresdner Lederhändler Rudolf Eduard Gnauck (1820-1892). Als langjähriges Mitglied und Vorsteher im „Verein ev.-luth. Glaubensgenossen“ und Vorsitzender im Dresdner Lutheranervein erklärte er am 26. August 1871 seinen Austritt aus der sächsischen Landeskirche. Er wurde zum ersten Gemeindeleiter der St. Trinitatisgemeinde in Dresden gewählt. Bezeichnend sind seine Worte an den Vorsitzenden des Planitzer Lutheranervereins:

„Wieviele der hiesigen Brüder mir nachfolgen, weiß der Herr. Ich meinerseits veranlasse niemanden dazu und ich rate dir, tue ein Gleiches; Lass uns nicht nach Köpfen, sondern nach Herzen zählen!“

Eine kleine Kraft, S. 32

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